Russlanddeutsche

  • Die Deutschen – ein Stammvolk Osteuropas

     

    Russlanddeutsche Geschichte:
    Zum 300-jährigen Jubiläum der Vereinigung
    der Livländischen Ritterschaften des Deutschen Ordens
    mit dem Zarentum Rus

     

    Walther Friesen

     

    Die Deutschen – ein Stammvolk Osteuropas

     

    Am 10. September 1721, unterzeichnete Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Krieg (1700–1721) beendete, und Livland, vertreten durch die Livländische Ritterschaft des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. Dadurch wurde auch der andauernde gemeinsame Kampf gegen das türkische Osmanische Reich und seine Satelliten gekrönt. 1721 waren mehr als 100.000 Deutsche Livlands zu Imperiumsuntertanen geworden.

     

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  • Gelungener Gedenktag der VIRA – auch Anlass zum Feiern der Entstehung der 3. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus

    Gelungener Gedenktag der VIRA – auch Anlass
    zum Feiern der Entstehung der
    3. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus


    Der Allmächtige hat es so gewollt, dass die von der „Vereinigung zur Integration der russlanddeutschen Aussiedler e. V.“ akribisch vorbereitete und am 11. September 2021 durchgeführte Veranstaltung zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Deportation der Deutschen in der UdSSR, fiel mit dem 300-jährigen Jubiläum der Entstehung der Dritten weitgehenden Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus1 zusammen.

    Am 10. September 1721, unterzeichnete der gebürtige Bochumer Heinrich Johann Friedrich Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Krieg (1700–1721) beendete, und Livland, vertreten durch die Livländischen Ritterschaften des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. Dadurch wurde auch der andauernde gemeinsame Kampf gegen das türkische Osmanische Reich und seine Satelliten gekrönt. 1721 waren mehrere Zehntausende von Deutschen Livlands zu Untertanen und Bürgern des größten zusammenhängenden Staates der Geschichte geworden. Berechtigt können die Deutschen als seine Mitbegründer gelten.



    Historische, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Vereinigung

    1229 sandte der Smolensker Fürst Mstislaw Dawidowitsch (?; † 1231), auch im Auftrag der Fürsten von Polozk und Witebsk, eine Botschaft nach Riga und Wisby, um „die auf beiden Seiten herrschende Zwietracht zu beseitigen“ und „die Hindernisse zwischen den Einwohnern von Smolensk und den Deutschen zu beseitigen“.

    Die Verhandlungen im Namen der Deutschen wurden vom Ritter Rolf von Kassel und im Namen der Russen vom in Smolensk ansässigen Diplomaten Tumasch (Thomas) Michailowitsch.

    „Dass zwischen ihnen gegenseitiges Verständnis herrscht“ – so wird das in lateinischer Sprache verfasste Dokument eingeleitet – „und dass zur Freude der russischen Kaufleute in Riga und an der gotischen Küste und der deutschen Kaufleute im Fürstentum Smolensk bekannt wurde, dass Frieden und Harmonie hergestellt worden waren, und damit sie ewig und von den Menschen in Riga und anderen Deutschen, die auf der Ostsee segeln, geschätzt werden, haben die Vertragsparteien ein Gesetz entworfen, das sowohl für die Russen in Riga als auch für an der gotischen Küste und für die Deutschen in Smolensk verbindlich ist, und möge es für immer eingehalten werden.“

    Der Vertrag, in dessen letztem Teil jeder Russe oder Deutscher, der gegen seine Bestimmungen verstieß, zum Übeltäter erklärt wurde, wurde in Riga in Anwesenheit des Bischofs, des Herrenmeister des Schwertbrüderordens Volkwin von Naumburg zu Winterstätten (*?; † 1236) und aller Bürger von Riga unterzeichnet, die ihre Siegel daran befestigten.


    Ein mittelalterlicher Vertrag mit den daran befestigten Siegeln

    Es wurde auch von den Leitern der Handwerkszünfte von Wisby, Lübeck, Soest, Münster, Gröningen, Dortmund und Bremen unterzeichnet. Eine Kopie wurde in Wisby von „russischen Gesandten und allen lateinischen2 Kaufleuten“ unterzeichnet.

    Die Nachfolger von Mstislaw Dawidowitsch bestätigten und ergänzten den Vertrag von 1229. Die Klausel, die in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts eingeführt wurde, sicherte den Deutschen ein unbegrenztes Recht, Häuser und Gehöfte zu besitzen. Sogar der Fürst selbst konnte „weder einen Tataren noch einen Boten“ dort einquartieren.

    Der Vertrag von Smolensk von 1229 mit den darauf folgenden Ergänzungen und Rechtsprechungen verbriefte de facto die 1. Kulturelle und wirtschaftliche Autonomie der Deutschen und bestimmte den sozio-rechtlichen Status der Deutschen in einem der bedeutenden osteuropäischen Fürstentümer. Er beeinflusste den geopolitischen Paradigmenwechsel in anderen osteuropäische Staaten3 ein, nicht zuletzt im Großfürstentum Moskau.


    Die Einladung der Deutschen

    Ende März 1489 sandte der Großfürst von Moskau Iwan III., der sich als „Der Große Herrscher der ganzen Rus (Великий Государь всеа Руси)“ nannte, eine Botschaft an den Kaiser des Deutschen Reiches Friedrich III. (*1415; †1493) und seinen Sohn König Maximilian von Deutschland (*1459; † 1519), den zukünftigen Kaiser des Deutschen Reiches.

    Die Anweisung vom 22. März 1489 an den persönlichen Gesandten Juri Trakhaniot (*?; †1513) und Iwan Chalepa, der ihn begleiteten, lautete:

    „für den Großfürst diese Meister zu finden: einen Bergmann, der Gold- und Silbererz kennt, und einem anderen Meister, der weiß, wie man Gold und Silber von der Erde trennt... und Juri, um einen listigen Meister zu suchen, der in der Lage wäre, die Städte zu belagern, und einen anderen Meister, der in der Lage wäre, aus Kanonen zu schießen, und auch einen listigen Maurer zu finden, der in der Lage wäre, große Gefäße und Tassen zu machen, und er in der Lage wäre, die Inschriften auf diesen Gefäßen zu prägen; und sie müssen vorbereitet werden, um dem Großfürst als Leiharbeiter zu Diensten zu stehen. Und falls diese Meister nicht angeheuert werden wollen, sondern gegen den großfürstlichen Gehalt gehen wollen, und auch dann muss Juri diejenige, die für ein Gehalt des Großfürsten arbeiten wollen, mitnehmen...“4.

    Dies ist die erste dokumentierte offizielle Einladung deutscher Spezialisten nach Rus.

    Diese Einladung hatte weitreichende Auswirkungen. Nach einiger Zeit fanden die deutschen Geologen die Silbervorkommen an der Zilma, einem linken Nebenfluss der Petschora. Dies ermöglichte es Russland unter Iwan III., Münzen aus seinem eigenen Silber zu prägen. „Die Zeit ohne Münzen (Безмонетный период)“ in der Geschichte der Rus war endlich vorbei.

    Im XV Jahrhundert wurde der doppelköpfige Adler des Byzantinischen Reiches zu einem Symbol des Widerstands gegen die türkische Aggression. Ab 1442 war er sowohl auf den Wappen des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) und Russlands (seit 1495) als auch der Balkanvölker, die den ersten Schlag der türkischen Eroberer zu erleiden hatten.


    Föderativer Staat Khanat Kasan – Zarentum Rus – Königreich Livland

    Der 1558 begonnene 25-jährige Große Koalitionskrieg wird in der Geschichtsschreibung als Livländischer Krieg (1558–1583) bezeichnet und als ein Kampf zwischen dem Zarentum Rus, Polen-Litauen, Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Baltikum und im Ostseeraum dargestellt. Dennoch verzeichnen die Chroniken genau für diese Zeitspanne verwüstende Einfälle des Verbündeten des Osmanischen Reiches – der Krimtataren – auf das Zarentum in den Jahren 1559, 1560, 1564, 1570, 1572, 1578, 1581 und 1582.

    Der Ausbruch des Livländischen Krieges kam Polen-Litauen und dem Osmanischen Reich sehr gelegen. Die beiden waren an einer Ablenkung bzw. Schwächung des Verbündeten des Deutschen Reiches interessiert.

    Am 17. Januar 1558 marschierten die Truppen Ioanns IV. in Livland ein, unter dem Vorwand, die vertragsbedingten Rückstände einzutreiben (was eigentlich auch den Tatsachen entsprach). Zwar waren die livländischen Städte an der Ostseeküste wegen des Handels mit Westeuropa von strategischer Bedeutung für das Zarentum. Schon 1557 gründete Ioann IV. mit Unterstützung der Moskauer Kompanie den neuen Hafen am Ufer der Narwa, nicht weit von ihrer Mündung in die Ostsee und gegenüber der livländischen Stadt Narwa – mit dem Ziel, die traditionellen Handelsrouten umzuleiten und die livländischen Hafenstädte Riga und Reval zu umgehen. Dennoch wollte der Zar den Partnerstaat vielmehr als einen ihm freundlich gesinnten Nachbarn haben, der zwischen seinem Machtbereich und dem Deutschen Reich stehen bzw. ihn mit diesem verbünden sollte.

    Die Anfangsphase des Livländischen Krieges war für das Zarentum Rus aus geopolitischer und militärischer Sicht triumphal. Nach der Einnahme der Festungen Narwa, Dorpat und Neuhausen, die den Zarentruppen zähen Widerstand geleistet hatten, gaben die meisten deutschen Festungen ohne Widerstand auf. Riga blieb jedoch unbesetzt. In den besiegten Städten blieb die gemeinwesentliche Selbstverwaltung bestehen, den Gläubigen wurde Religionsfreiheit gewährt und den Geschäftsleuten der steuerfreie Handel mit dem Zarentum versprochen. Der Zar ließ die Gelder für den Wiederaufbau von Narwa und Darlehen für die Grundbesitzer aus dem Staatsschatz ausgeben. Für den Winter 1558/1559 beschlossen die Zarenheerführer, die Mehrheit der Invasionsstreitkräfte auf frühere Stationierungspunkte, die sich auf dem Territorium des Zarentums befanden, abzuziehen. Nur kleine Besatzungen wurden in Livland belassen.

    Diese Gelegenheit ergriff der neu gewählte Landmeister Livlands, Gotthard Kettler (*1517; †1587), dem der Deutsche Orden im Reich, die Deutsche Hanse und der neue Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Ferdinand I. (*1503; †1564) moralische Unterstützung versprochen hatten. Allerdings bekam Kettler realen militärischen Beistand vom katholischen Großfürstentum Litauen, das schon 1386 eine Union mit dem ebenso katholischen Polen eingegangen war. Am 31. August 1559 schloss Kettler mit dem Großfürsten von Litauen Sigismund II. August (* 1520; † 1572) ein Übereinkommen, dem entsprechend sich Süd- und Zentrallivland mit Riga als Protektorat dem Großfürstentum Litauen unterstellten. Gleichzeitig wurde Nordlivland mit Reval durch die schwedischen Truppen besetzt. Die Insel Ösel wurde den Dänen für 30.000 Taler verkauft.

    Kettler sammelte die Verstärkungstruppen und überfiel die kleinen vereinzelten Besatzungsgarnisonen des Zaren. Kettlers Streitkräfte nahmen keine Gefangenen; die Chroniken berichten, dass 1000 Zarenkrieger niedergemetzelt wurden.

    Die Vergeltungsaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Kettlers Truppen wurden in der Schlacht bei Ermes (2. August 1560) entscheidend geschlagen. Am 5. März 1562 legte Gotthard Kettler die Insignien des Ordensmeisters ab und schwor dem polnischen König den Lehnseid. Livland wurde in polnische, dänische, schwedische und zaristische Besatzungs- bzw. Einflusszonen aufgeteilt. Von diesem Zeitpunkt an musste der Zar Krieg gegen die übermächtige Koalition des katholischen Polen-Litauens führen, mit dem die lutherischen Königreiche Schweden und Dänemark sich verbündeten. Dann entschied sich der Zar für eine andere Strategie und bemühte sich, Dänemark auf seine Seite zu bringen. Dafür gab es gute Voraussetzungen.

    Der König von Dänemark und Norwegen, Christian III. (* 1503; † 1559), führte 1536 den lutherischen Glauben in seinem Königreich ein. Zuvor stieß er auf zähen Widerstand des katholisch dominierten Reichsrates und der katholischen Bischöfe, die er letztendlich verhaften ließ. Christian brauchte sowohl die Unterstützung des ebenso lutherischen preußischen Herzogs Albrecht bzw. der Königsberger Theologen in Glaubensfragen als auch die Neutralität Preußens in seinem Kampf gegen den Nebenbuhler Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Schon 1550 richtete Christian dem Zaren sein Anliegen aus, eine lutherische Mission im Zarentum zu betreiben. Dieses Angebot blieb letztendlich nicht ohne Folgen.

    1570 ernannte Ioann IV. den dritten Sohn von Christian III., Magnus von Dänemark (*1540; †1583), zum König von Livland und Oberbefehlshaber der russischen Armee im Feldzug gegen die Schweden, die Nordlivland in Besitz genommen hatten. Das Königreich von Livland war ein Neugebilde, das aus Bruchteilen des Besitzes des zerschlagenen Livländischen Ordens zur Sicherung der unmittelbaren Kontakte zwischen dem Zarentum und dem Deutschen Reich ins Leben gerufen wurde. Der aufgestellte König bekam ein 25.000 Mann starkes Heer.

    In demselben Jahr, 1570, fielen die Krimtataren ins Zarentum Rus ein. Im folgenden Jahr durchbrach das Tatarenheer die Stellungen an der Oka und brannte vom 24. bis zum 26. Mai 1571 Moskau fast vollständig nieder. Danach verlangte der Krimkhan Devlet I. Giray (*1512; †1577) die gehorsame Unterwerfung des Zarentums, das seit der Eroberung von Konstantinopel (29. Mai 1453) die Ostfront des christlichen Widerstandes gegen die türkischen Invasionen darstellte. Der Zar war bereit, nachzugeben und den größten Teil seiner Besitzungen dem Osmanischen Reich und dem Krimkhanat abzutreten. Seine Kapitulationsbereitschaft erschreckte die Deutschen. Die Gräuel der türkischen Feldzüge gegen das Abendland und der Belagerung von Wien (1529) waren ihnen noch frisch in der Erinnerung.

    Gegen die Horde der Eroberer wurde nur die Armee von 20.000 Mann unter der Führung des herausragenden Heerführers Michail Iwanowitsch Worotynski (*1516; † 1573) aufgestellt. Eine 7.000 Mann Armee livländischer Deutscher mit dem Feldherrn Jürgen von Fahrensbach (1551–1602), einem Vertrauten des Königs Magnus, eilte ihnen zu Hilfe.

    In der Schlacht bei Molodi (Битва при Молодях), die sich zwischen dem 26. Juli und dem 2. August 1572 ereignete, zerschlug das verbündete christliche Heer (ca. 20.000 Mann), dank ihrer Militärkompetenzen, den zahlenmäßig fünffach überlegenen Gegner (ca. 125.000 Mann). Das war der Beginn des Niederganges des Krimkhanats.

    Sowohl der Zar als auch der König von Livland waren bestrebt, ihr Bündnis auch durch Familienbande zu festigen. Am 12. April 1573 heiratete Magnus Marie Starizkaja (*1560; †1610), eine Nichte des Zaren.

    Im Herbst 1575 trat Ioann IV. zurück und übertrug die Regierung an Sajin Bulat (*?; †1616), dem in Moskau ansässigen Khan von Kasimow, einem Enkel Achmads (?; † 1481), des letzten Khans der Goldenen Horde. Ein Jahr zuvor hatte er als Oberbefehlshaber der russischen Armee in Nordlivland vergeblich versucht, den Hafen Pernau zu erobern, der seit 1561 in schwedischem Besitz war. Der abgedankte Zar zog sich unter dem neuen Namen Fürst Iwan Mosckowskij für über ein Jahr aus dem Kreml zurück, übernahm aber Ende 1576 erneut die Macht.

    Die infolge der Zarenabdankung unsichere politische Situation veranlasste König Magnus, seine eigene Politik in Bezug auf die Nachbarn zu verfolgen. Er nahm Verhandlungen mit dem König von Polen Stephan Báthory (*1533; †1586) auf und fiel dadurch in Ungnade beim Zaren. 1578 flüchtete er mit seiner Frau nach Riga, das von den Polen kontrolliert wurde.

    Damit endete das kurzfristige Bestehen des Königreichs Livland und im weiteren Sinne das des föderativen Staates ‚Khanat Kasan – Zarentum Rus – Königreich Livland‘, in dem die Deutschen Baltikums eine weitgehende religiöse, administrative und wirtschaftliche Autonomie genossen. Das war die 2. Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus, die nicht auf dem leeren Boden gegründet worden war. Der Vertrag von 1229 legte den gewohnheitsrechtlichen Grundstein zur diesen Autonomie, die ihren Fortbestand in autonomen Vorstädten (Possad / посад) der Deutschen wiederfand.


    Ein neuer Anfang der Deutschen im Zarentum

    Die Kampfführungsstrategie im Osten des Zarentums war auf die fachliche Unterstützung begabter Deutscher angewiesen, um die befestigten Stützpunkte an der Süd- und Ostgrenze zu bevölkern. Den aus den Chroniken abgeleiteten Einschätzungen des Autors nach, betraf die Umsiedlungspolitik Ioanns IV. im Verlauf des Livländischen Krieges Zehntausende von Deutschen und Ostbalten. 1588 dienten allein in der mittelgroßen befestigten Ansiedlung Dedilowo an der Südgrenze des Zarentums (ca. 200 Kilometer südöstlich von Moskau) 82 „ausländische Krieger“, so die Chronik.

    Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang das abenteuerliche Leben von Johann Wilhelm von Fürstenberg (*1500; †1568), des vorletzten Landmeisters des Deutschen Ordens in Livland. Fürstenberg wurde im westfälischen Neheim, das heutzutage ein Arnsberger Ortsteil ist, geboren. Als Sechzehnjähriger trat er in den Deutschen Orden ein, wo er in der Versorgungseinrichtung für nachgeborene Söhne des westfälischen Adels ausgebildet wurde. Wilhelm folgte dem Vorbild zahlreicher Mitglieder der Familie von Fürstenberg. Wie diese begab er sich nach Livland, wo er im Laufe der Zeit wichtige Positionen erreichte. Am 20. Mai 1557 übernahm Fürstenberg als Landmeister die Führung der Angelegenheiten des Deutschen Ordens in Livland, dessen Armee zu diesem Zeitpunkt sehr schwach war und vor allem aus Söldnern bestand. Am 14. September 1557 schloss er ein Bündnis mit dem König von Polen, Sigismund August, der auch gleichzeitig der Großfürst von Litauen war. Diese neue Koalition richtete sich gegen das Zarentum Rus. Das Vermächtnis von Wolter von Plettenberg (*um 1450; †1535), der den Frieden mit Russland befürwortete, wurde der Vergessenheit preisgegeben.

    Nach einer Reihe von militärischen Niederlagen wurde Fürstenberg 1559 des Landmeistersamtes enthoben und Gotthard Kettler als sein Nachfolger bestätigt. Allerdings behielt Johann Wilhelm von Fürstenberg wichtige Ämter im Ordensstaat, verwaltete weitläufige Gebiete und war im April 1560 der Oberbefehlshaber der Ordensburg Fellin, die als die größte im Baltikum galt. Die verheerende Niederlage der Söldner des Deutschen Ordens in der Schlacht bei Ermes (2. August 1560) trieb auch den Fall des belagerten Fellin voran. Fürstenberg wurde mit seinen Truppen gefangen genommen und in die östliche Grenzstadt Jaroslawl (280 Kilometer nordöstlich von Moskau) fortgeschafft, die den wichtigen Wolga-Handelsweg sicherte. Später schrieb Fürstenberg aus Jaroslawl seinen Verwandten, er habe keine Gründe, mit dem Schicksal zu hadern. Er fühlte sich in seinem neuen Zustand offenbar nicht eingeschränkt und wurde in Moskau bei Zarenaudienzen gesehen. Sein Schicksal war typisch für das vieler ehemaliger Angehörigen des Deutschen Ordens, die in Zarendiensten angestellt waren. Ein wichtiger Faktor, der die bewusste Pflichterfüllung seitens der „ausländischen Krieger“ veranlasste: sowohl das Zarentum als auch das christlich geprägte Europa führten zu jener Zeit die erschöpfenden Türkenkriege gegen das Osmanische Reich und seine Verbündeten. Die an den Grenzen zum türkischen Feind beheimateten Ordensmitglieder verteidigten also eigentlich die europäische Souveränität auf den fernen Vorfeldern des Abendlands.

    Das tragische Fazit des 16. Jahrhunderts war die humanitäre Katastrophe des Ostbaltikums. Die deutsche Bevölkerung wurde zwischen dem Herzogtum Preußen, dem Herzogtum Kurland und Semgallen (seit 1561), die unter polnischer Hoheit standen, und den durch Schweden besetzten Territorien im Nordostbaltikum zerrissen. Einige ostbaltische Inseln gehörten Dänemark. Mehrere Zehntausend gefangen genommenen Deutsche Livlands wurden an den Süd- und Ostgrenzen des Zarentums – an der Verhaulinie (засеки [zaseki]) – angesiedelt.

    Karte der Verhaulinie des Moskauer Staates im 17. Jahrhundert

    Die Gräuel der Bartholomäusnacht (24. August 1572), die die französischen Katholiken an den protestantischen Hugenotten begingen, versetzten für Jahrhunderte die europäischen Protestanten in Schrecken und Misstrauen. Die beiderseitige Abneigung zwischen Katholiken und Protestanten war zur gesellschaftlichen Norm geworden.

    In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schien es für viele ehemalige ostbaltische Mitglieder und Untertanen des Deutschen Ordens nur zwei Möglichkeiten zu geben: entweder sich irgendwie der drastisch geänderten geistlichen Umgebung anzupassen oder auszuwandern. Das Damoklesschwert der katholischen Rache blieb über den Köpfen der Lutheraner unter der polnischen Hoheit hängen, die lutherischen Kirchenrituale durften in den schwedischen bzw. dänischen Besatzungszonen Livlands nur in den nationalen Sprachen der Besatzungsmächte ausgeübt werden.

    Der lutherische Glaube war im Zarentum Rus geduldet und in vielen Aspekten konnten die Protestanten und die christlichen Andersgläubigen, wie z. B. die Anhänger der Lehre von Andreas Osiander (*1496; †1552) oder Antitrinitarier, sich wesentlich ungehinderter in Ost- als in Westeuropa oder im Ostbaltikum fühlen. Der Militärdienst im Zarentum bot ihnen auch eine lukrative Perspektive. Den Offizieren und einfachen Verhauliniekriegern wurde guter Sold vom Zarenschatz entrichtet. Für zuverlässige Dienste wurden ihnen Bodenanteile mit Leibeigenen in der fruchtbaren Schwarzerde-Zone Osteuropas zugeteilt, die von dem Osmanischen Reiche erobert worden war.

    Eine Gruppe von Deutschen aus Livland ließ sich in der Moskauer Vorstadt an den Ufern der Jausa, dem linken Nebenfluss der Moskwa, nieder. 1560 wurde dort die Lutherische Gemeinde gegründet, der der Sohn des friesischen Theologen Brictius thon Norde (*um 1490; †1557) vorstand. 1601 wurde auf Anordnung des Zaren Boris Fjodorowitsch Godunow (* 1552; † 1605) die lutherische Steinkirche in Moskau gebaut. Die deutsche Vorstadt von Moskau setzte die gewohnheitsrechtliche religiöse, kulturelle, wirtschaftliche und teilweise territoriale (wenn auch in kleinerem Maßstab) Autonomie der Deutschen in der Rus fort.


    Dorniger Weg zur Imperiumsgründung

    In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zählten die osteuropäischen Chroniken 43 Einfälle der Krimtataren. Der Sultan des Osmanischen Reiches Selim II. (*1524; †1574) plante selbst die Eroberung des Zarentums Rus und forderte aus diesem Grund die erneute Unterstützung des Krimkhanats. Polen und Litauen verbündeten sich mit dem Sultan.

    1606 endete der Lange Türkenkrieg (1593–1606). Eine einmalige Zahlung von 200.000 Gulden beendete den bis dahin jährlich den Türken zu zahlenden Tribut der Deutschen. Der Sultan musste den deutschen Imperator erstmals als gleichberechtigten Verhandlungspartner anerkennen. Dennoch schalteten sich schon ein Jahr zuvor die Verbündeten der Türken – die Polen – als vermeintlicher Garant der Erbrechte der Rurikiden in den innerpolitischen Streit des Zarentums Rus ein. 1605 okkupierten die Polen Moskau und setzten ihren Schützling Pseudodimitri I. (*?; †1606) auf den Zarenthron. Als dieser 1606 vom aufständischen Volk ermordet worden war, ließen die Polen ihren zweiten Protegé, den zweiten falschen Dimitri (*?; †1610), zum Zaren krönen.

    1607, zum ersten Mal seit der Niederlage auf dem Schlachtfeld bei Molodi (1572), durchbrachen die Krimtataren die Verteidigungsstellungen an der Oka und verwüsteten die Gebiete, die ihrem Verbündeten, dem polnischen König, die Eidesleistung verweigerten. Die Bojaren und das Volk riefen ihre Nachbarn – die livländischen deutschen Ritter – um Hilfe an. Ein Teil der Ritter unterstellte sich nach dem Livländischen Krieg (1558–1583) der schwedischen Krone, sodass sie für ein solches Unternehmen der Einwilligung des schwedischen Königs bedurften. Der Titularkönig von Schweden, Sigismund III. Wasa (* 1566; † 1632), der von 1587 bis 1592 auch das gewählte Staatsoberhaupt von Polen-Litauen war, stimmte unter bestimmten Vorbedingungen zu. Der in Reval geborene Graf Jakob Pontusson De La Gardie von Läckö (* 1583; † 1652) war an die Spitze des Heeres gesetzt, das die Polen bei ihrem Vormarsch aufhalten sollte. Zusammen mit dem Zarenheer, das Michail Wassiljewitsch Skopin-Schuiski (*1586; †1610) führte, schlugen die Deutschen die Polen bei Twer und befreiten das Kloster der Dreifaltigkeit und des Heiligen Sergius im heutigen Sergijew Possad.

    Am 10. März 1610 marschierten die Alliierten feierlich in Moskau ein, wo sie von der Bevölkerung mit Brot-und-Salz-Gabe begeistert bejubelt wurden. Am 18. März gab der zurückgekehrte Zar Wassili IV. Iwanowitsch Schuiski (*1552; †1612) in der von den Polen befreiten Hauptstadt ein fürstliches Festmahl zu Ehren von De La Gardie und seinen deutschen Rittern …

    Im Winter 1656/57 fielen die Lipka-Tataren und Krimtataren in das Livland benachbarte Herzogtum Preußen ein. Der verwüstende Raubzug erfolgte, nachdem sich Polen 1654 mit dem Krimkhanat verbündet hatte. Die Tataren töteten bis zu 23.000 Menschen und verschleppten 34.000 Einwohner Preußens in die Sklaverei. Den Chroniken zufolge verhungerten oder erfroren bis zu 80.000 Menschen in den verwüsteten Landstrichen.

    Allerdings war Ende des 17. Jahrhunderts auch für die Polen die Gefahr, von den Türken erobert zu werden, zur realen Bedrohung geworden und das deutsch-polnische Entsatzheer unter der Führung des polnischen Königs Johann III. Sobieski (*1629; †1696) rettete die vom 14. Juli bis 12. September 1683 belagerte Hauptstadt des Deutschen Imperiums – Wien – in der Schlacht am Kahlenberg (12. September 1683). Der Versuch des Osmanischen Reiches, Wien zu erobern und das Tor nach Zentral- bzw. Westeuropa aufzustoßen, war gescheitert. Dennoch dauerte der Große Türkenkrieg noch fast anderthalb Jahrzehnte. Im Frieden von Karlowitz (26. Januar 1699) musste sich das Osmanische Reich erstmals von den christlichen Mächten (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, Polen-Litauen, Republik Venedig, Kirchenstaat sowie Zarentum Rus) Friedensbedingungen diktieren lassen.

    Inzwischen verschlechterte sich die Lage der Deutschen, Esten und Letten in Livland. Das 1561 entstandene Herzogtum Kurland und Semgallen stand unter der Suzeränität Polen-Litauens. Zwar erreichte Kurland unter Herzog Jakob Kettler (*1610; †1682) eine wirtschaftliche Blüte, verfügte über eine der größten europäischen Handelsflotten und besorgte sich sogar die Kolonien Tobago (Neukurland) und James Island am Gambia-Fluss in Afrika. Doch seine wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften wurden 1655 durch den Einfall der Schweden zunichtegemacht.

    Der Vertrag von Oliva (3. Mai 1660) verbriefte die schwedische Oberhoheit über Livland und Riga. Die schwedische Krone ergriff diese Gelegenheit, um eine umfassende Enteignungskampagne, die man „Reduktion“ nannte, in Livland durchzuführen. Der schwedische König Karl XI. (*1655; †1697) ordnete an, die Bodenanteile der Deutschen für den Fiskus einzuziehen. Und gleichzeitig wurde auf grausame Weise versucht, den ehemaligen Grundbesitzern ihr beschlagnahmtes Eigentum zu verpachten, „um weitere Geldmittel flüssig zu machen“, und „die deutsche durch die schwedische Verwaltungssprache zu ersetzen“5.

    Dem Kampf gegen die schwedischen Okkupanten stand Johann Reinhold von Patkul (*1660; †1707) vor. 1694 musste er ins Exil gehen, nachdem das Todesurteil über ihn verhängt und seine livländischen Güter beschlagnahmt worden waren. Am 1. November 1698 trat er in den Dienst Augusts des Starken (*1670; †1733) und erreichte, dass 1699 mit Dänemark und Russland ein gegen Schweden gerichtetes Bündnis geschlossen wurde. Darum sehen manche Geschichtsschreiber in Patkul den Initiator des Großen Nordischen Krieges (1700–1721). 1701 ging er in den Dienst des russischen Zaren Peter I. (*1672; †1725) und wurde 1703 dessen Gesandter am sächsisch-polnischen Hof. Doch als August der Starke einen Separatfrieden mit Schweden anstrebte, wirkte er diesem entgegen, woraufhin er am 19. Dezember 1705 inhaftiert wurde. Am 7. April 1707 wurde er an den Schwedenkönig Karl XII. (*1682; †1718) ausgeliefert. Dieser ließ ihn als Landesverräter rädern und vierteilen.

    Der Anfang des Großen Nordischen Krieges nahm für Russland eine katastrophale Wendung. In der Schlacht bei Narva (20. November 1700) schlug der noch junge schwedische König Karl XII. die zahlenmäßig weit überlegene Zarenarmee vernichtend. Die schwere taktische Niederlage des Zarenheers bei Narva barg zugleich den Samen des späteren Erfolgs. Peter I. lernte aus seinem Misserfolg. Er forcierte die Schwerindustrie zur Herstellung des damals modernsten Kriegsgerätes. Mithilfe deutscher Fachleute reformierte und vergrößerte der Zar die veraltete Armee bis 1705 auf 200.000 Soldaten und machte sie den modernen Armeen Europas ebenbürtig. In der Schlacht bei Poltawa (8. Juli 1709) wurde die schwedische Hauptarmee völlig vernichtet und Karl XII. floh zu den Türken, bei denen er sich fünf Jahre aufhielt.

    Im Herbst 1709 belagerten russische Truppen Riga und am 15. Juli 1710 kapitulierte seine schwedische Garnison.


    Die 3. Autonomie der Deutschen in der Rus

    Am 4. Juli 1710 schloss Generalfeldmarschall der russischen Armee Boris Petrowitsch Scheremetew (*1652; †1719) mit der Stadt Riga und mit der Livländischen Ritterschaft die sogenannten Kapitulationen, welche die Sonderstellung Livlands und Rigas im Zarentum Rus festlegte. Am 14. Juli 1710 huldigten die Livländische Ritterschaft und der Ständerat von Riga dem Zaren Peter I. Am 29. September 1710 wurden ähnliche Vereinbarungen in der Kapitulation mit der Stadt Reval und mit der Estländischen Ritterschaft geschlossen. General der Kavallerie Christian Felix Bauer (*1667; †1717) unterschrieb diese Kapitulation von russischer Seite.

    Dem Herzogtum Estland und dem Herzogtum Livland wurden ihre Privilegien verliehen, die sie unter der schwedischen Krone vor der Reduktion besessen hatten. Zar Peter I. bestätigte die vereinbarten Bedingungen als immerwährend. Gemäß den Privilegien, hatte die livländische Selbstverwaltung (Autonomie) die Angelegenheiten der Rechtsprechung, Kirche, Schule, Wohlfahrt, Post, Gemeinde- bzw. Stadtverwaltung inne.

    Die Rechte der von den Deutschen verwalteten Autonomie wurden im § 9 des Friedens von Nystad nochmals bestätigt:

    „Seine Czarische Majest. versprechen daneben/ daß die sämtliche Einwohner der Provintzien Lieff- und Estland/ wie auch Oesel/ Adeliche oder Unadeliche/ und die in selbigen Provintzien befindliche Städte/ Magistraten/ Gilden und Zünffte bey ihren unter der Schwedischen Regierung gehabten Privilegien, Gewohnheiten/ Rechten und Gerechtigkeiten bestäntig und ohnverrückt conserviret/ gehandhabet und geschützet werden sollen.“

    Somit erhielt die 3. Autonomie der Deutschen in der Rus auch die gesetzlich verbriefte internationale Anerkennung.

    Die von den Deutschen verwaltete Autonomie wurde zunächst in zwei Bestandteile gegliedert: das Rigaer Gouvernement (Рижская губерния) und Reval Gouvernement (Ревельская губерния), ab 1795 gab es schon drei territorial-administrative Gliederungen: Kurländisches Gouvernement (Курляндская губерния), Livländisches Gouvernement (Лифляндская губерния), Esthländisches Gouvernement (Эстляндская губерния).

    Neben der allgemeinen Verwaltung eines Gouvernements, Kronbehörden genannt, bestanden auch die Landesbehörden, welche die Selbstverwaltung in Livland verkörperten. Während die Kronbehörden samt dem Gouverneur oder Statthalter den zentralen russischen Behörden und Ministerien unterstanden, waren die Landesbehörden unabhängig von Weisungen der zentralen Staatsmacht. Laut den Kapitulationen war die lutherische Konfession ausdrücklich als herrschende Landeskirche anerkannt worden.

    In allen Behörden und Institutionen war die deutsche Geschäftssprache beibehalten oder eingeführt worden. Sowohl in den Kreisschulen als auch in den Gymnasien Deutsch war die Unterrichtssprache.

    Mit den Ostseegouvernements wurden zum ersten Mal Gebiete in das Russische Imperium eingegliedert, die nicht nur, wie etwa Nowgorod, unter starkem europäischen Kultureinfluss gestanden hatten, sondern die in ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Struktur, im Niveau ihrer geistigen und materiellen Kultur, in ihrer geschichtlichen Entwicklung und damit in ihren Werttraditionen echtes Abendland waren. Estland, Livland und Kurland wurden deswegen auch als die „deutschen“ Ostseeprovinzen Russlands bezeichnet.

    Die Deutschen der Ostseegouvernements dienten daher fortan dem „Imperator und Selbstherrscher aller Reußen“, wie sie bisher der Krone Schwedens gedient hatten, als, wobei sich ihnen neue und ungeahnte Möglichkeiten eröffneten. Der deutsch-baltische Adel spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte Russlands. Aus seinen Reihen kamen zahlreiche Minister, Politiker, Generäle und Admiräle. Die deutschsprachige Universität in Dorpat hatte besonders im 19. Jahrhundert einen festen Platz im deutschen Kulturleben. Die Deutsch-Balten stellten den Adel und den Großteil des Bürgertums und bis weit ins 19. Jahrhundert die Mehrzahl der Stadtbewohner.

    Während zur gleichen Zeit in den nordostdeutschen Territorien Preußens der absolute Fürstenstaat über die Stände triumphierte, vermochten die Ritterschaften und Stadtobrigkeiten der baltischen Provinzen ihre deutschrechtliche politische Eigenständigkeit zu bewahren.

    Dieser Umstand hat zweifellos dazu beigetragen, dass die Deutschen Livlands, Estlands und Kurlands bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen ausbildeten, durch die sich von Angehörigen der gleichen sozialen Schichten in Preußen unterschieden. Dort entwickelte sich ein primär staatsbezogener, d. h. vom Staatsethos geprägter Menschentypus, während der deutsche Balte primär gesellschaftsbezogen war.

    Allerdings, durch den Regierungsantritt der Thronusurpatorin Katharina II wurden die Beziehungen zwischen Sankt Petersburg und den baltischen Provinzen ihrer bisherigen Stabilität beraubt. Zunächst bestätigte sie die Privilegien von 1710. Jedoch 1764 erfolgte in der Frage der Autonomie der Provinzen ein Umdenken der Thronusurpatorin. Die Stärkung des russischen Absolutismus und der Gedanke, das Imperium als ein Ganzes zu sehen, setzten die baltische Autonomie stark unter Druck. Auch die Zeit zwischen 1860 und 1905 sowie von 1910 bis 1917 war durch eine verstärkte bis radikale Russifizierungspolitik geprägt, welche die Privilegien der deutschen Ritterschaft immer mehr einengte.

    Aus der Abwehrhaltung gegenüber möglichen Eingriffen des andersnationalen Staates in die gesellschaftliche Sphäre bildeten die baltischen Deutschen Kräfte der nationalen Selbsthilfe aus und wiesen der Gesellschaft Funktionen zu, die anderswo staatlichen Organen zukamen.

    Bis 1918 verfügten die Deutschen des Ostseegouvernements über eine beträchtliche Autonomie und behielten bis zum Ende ihrer Existenz ein unabhängiges Rechtssystem.

    Die am 19. Oktober 1918 gegründete Arbeitskommune der Wolgadeutschen (ab 6. Januar 1924 – die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen) innerhalb der Teilrepublik der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken war die Umsetzung des gewohnheitsrechtlichen autonomen Status der Deutschen unter den neuen sozial-politischen Umständen.

    Das von der „VIRA“ (http://vira-ev.de/) gefeierte Andenken an das Zerschmettern der Wolgadeutschen Republik ist gleichzeitig auch ein guter Anlass zum Feiern des 712‬-jährigen Bestehens der verbrieften gewohnheitsrechtlichen Autonomie der Deutschen innerhalb der Rus: 1229–1941.

    Referenzen:

    1. Nach der Definition des Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus Kyrill I. ist die Rus heute die Gesamtheit aus Russland, der Ukraine und Weißrussland.

    2. So wurden u. a. die Deutschen, die Untertanen des Heiligen Römischen Reiches waren, genannt. Latein war die offizielle Sprache dieses Staatengebildes.

    3. Nach den Berechnungen des Autors, in den X-XV Jahrhunderten auf dem Territorium des multiethnischen Osteuropas zu verschiedenen Zeiten gab es 163 Fürstentümer bzw. Großfürstentümer und 3 Republiken: Republik Wologda (1433-1481), Republik Pskow (XI Jahrhundert–1510) und Republik Nowgorod (882–1478)

    4. Памятники дипломатических сношений древней России с державами иностранными. Часть первая: Сношения с государствами европейскими: Памятники дипломатических сношений с Империей Римской; том I; С. Петербург 1851; столбцы 19-20.

    5. Tuchtenhagen, Ralph: Zentralstaat und Provinz im frühneuzeitlichen Nordosteuropa; Wiesbaden: Harrassowitz 2008; S. 346.

  • Herman Dawidowitsch Arnhold ist heimgegangen

    Herman Dawidowitsch Arnhold ist heimgegangen

    Am 19. März 2022, im Alter von 99 Jahren, starb Herman Dawidowitsch Arnhold, Ehrenvorsitzender der Gesellschaft der Russlanddeutschen von Baschkortostan, ein Veteran der nationalen Bewegung für die Rehabilitation der Russlanddeutschen.

    Herman Arnhold wurde am 8. März 1923 im Dorf Zürich der ehemaligen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (heute Dorf Zorkino, Oblast Saratow) geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Dorf Boaro und in der Stadt Marxstadt (Marx, Oblast Saratow); Nach der Schule trat er in die Fakultät für Geschichte des Deutschen Pädagogischen Landesinstituts in Engels ein. Und 1941, während der Deportation der Russlanddeutschen, gelangte seine gesamte Familie zur Topchikha-Station der Region Altai. Danach musste er, wie Hunderttausende anderer Sowjetdeutscher, die Zwangsarbeit in der „Arbeitsarmee“ ableisten. (Ein halbes Jahrhundert später wurden diese Jahre erneut durch die Medaille „Für tapfere Arbeit im Großen Vaterländischen Krieg“ erinnert, die ihm und allen damals noch lebenden Zwangsarbeitern verliehen wurde, eine der Errungenschaften der Bewegung der Sowjetdeutschen dieser Jahre).

    Nach dem Krieg absolvierte Herman Arnhold in Abwesenheit das Ölinstitut in Ufa. Ab 1948 arbeitete er in der Ölindustrie in Baschkirien und ging einen langen Weg zum stellvertretenden Generaldirektor für Wirtschaft im Staatsunternehmen „Baschneftegeofizika“ und fast 30 Jahre hatte diese hohe Position inne. Gleichzeitig war Herman Arnhold der führende Entwickler einer Reihe von Systemen für den effektiven Einsatz geophysikalischer Geräte, Autor und Co-Autor von mehr als 30 wissenschaftlichen Arbeiten und wurde mit Silber- und Bronzemedaillen der Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR ausgezeichnet. Nachdem er ein halbes Jahrhundert der Geophysik gewidmet hatte, ging er 1998 im Alter von 75 Jahren in den Ruhestand.

    Hermann Arnhold beteiligte sich aktiv an der nationalen Bewegung der Sowjetdeutschen, leitete die republikanische Organisation, war Ehrenmitglied der Freundschaftsgesellschaft „Baschkortostan – Deutschland“, sowie einer der Initiatoren der Gründung des Zentrums für nationale Kulturen der Republik Baschkortostan, erhielt Ehrenurkunden der Republik und des Innenministers von Baschkortostan.

    ***

    Hermann Arnhold gehört zu jenen Menschen, deren Abschied mehr leichte Traurigkeit als untröstliche Trauer hervorruft. Und das ist durchaus verständlich: Schließlich verlassen uns solche Menschen nicht wirklich, sondern durch ein hohes Beispiel des Dienstes an ihrem Volk, dank ihrem Mut und vollständiger, bis zum Ende, Hingabe – bleiben sie immer noch bei uns...

    Die Deutschen Baschkortostans

    Leiter von Organisationen und Teilnehmer der nationalen Bewegung der Russlanddeutschen zur Rehabilitierung ihres Volkes in Russland, anderen Ländern auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR und in Deutschland

    Veteranen der nationalen Bewegung der Russlanddeutschen

    Herman Arnhold: Reflexionen über das Schmerzhafte
    http://www.damals-im-osten.de/index.php/aktuelles/83-herman-arnhold-reflexionen-ueber-das-schmerzhafte

     

  • Igor Plewe: Memoiren aus Untersuchungsgefängnis

    Записки из СИЗО
    Игорь Плеве – об истории своего деда,
    сидевшего там же в 30-е годы прошлого столетия

    Бывший ректор СГТУ Игорь Плеве, осуждённый на 4,5 года лишения свободы, написал о своём деде, Августе, сидевшем там же в 30-е годы прошлого века по подозрению в распространении антисоветской агитации (ч.10 ст. 58 УК РСФСР).

    «Человек не для того создан, чтобы терпеть поражения.
    Человека можно уничтожить, но его нельзя победить.»
    Эрнест Хемингуэй, «Старик и море»

    «Не мсти слабым и не заискивай перед сильными.
    Всегда оставайся собой», – Август Плеве

           Жизнь многообразна и непредсказуема. Так получилось, что благодаря судье Ледневой из Октябрьского суда я оказался в СИЗО №1 г. Саратова. Прикрываясь именем Российской Федерации, на основе лживых данных она приговорила меня к 4,5 годам общего режима.
           А с февраля 1938 по апрель 1939 в этом же СИЗО по политической статье 58 часть 10 (антисоветская агитация) несколько месяцев находился мой дед Плеве Август Петрович. Он сыграл огромную роль в формировании моей личности, характера, мировоззрения и миропонимания. Находясь в камере, решил сделать несколько коротких зарисовок о нём и о наших с ним отношениях. Вот, что получилось.

                                                                1
           Дед родился 22 декабря 1896 года. Не буду писать о его жизни до 1915 года, чтобы меня не обвинили в стремлении вывести свою родословную на известных в России родовитых немецких дворян.
           Когда я учился на истфаке СГУ, на семинарских занятиях по краеведению и истории КПСС шли оживлённые споры о том, каким путем победила революция 1917 года в Саратове: мирным или вооруженным. И впервые об этих далёких годах я решил спросить у деда. Со слов отца я знал, что Август Плеве был активным участником тех событий. Странно, что мы много о чём с ним беседовали, а эти эпизоды его биографии обошли стороной. Но, к моему большому удивлению, интересного разговора не получилось. Создалось впечатление, что дед многое переосмыслил и, несмотря на хорошую память, говорил односложно и безо всякого желания.
           Небольшим отрядом, который он возглавлял, захватили накануне 25 октября 1917 года единственный в Саратове автопарк. После поступления сообщения о переходе власти к большевикам, целый день гонялись с красным знаменем по городу. Особой стрельбы не было.
           С его слов, коренные жители Саратова к революции отнеслись, в большинстве своём, безразлично. А всем заправляли всякого рода инородцы, включая и нас, «чухню» (так называл себя дед). Дал краткие и ёмкие характеристики руководителям революции в Саратове. Высоко оценил человеческие качества Васильева-Южина и крайне негативно – Антонова-Саратовского. Искренне винил себя и свой отряд в гибели «хорошего большевика» Алексеева, чьё имя выбито на памятнике «Борцам революции 1917года». Очень коротко рассказал об участии в 1918 году в расстреле восставших, голодных фронтовиков, не пожелавших записаться в Красную Армию. Им предложили мирно покинуть казармы на Ильинской площади, а потом безжалостно расстреляли из пушек на Казачьих островах. И всё. Новые и новые попытки вывести деда на новый разговор заканчивались безрезультатно. Тогда я решил с молодым напором студента-историка рассказать деду, как победила революция в Саратовской губернии. Через несколько минут дед отсёк мой задор одной фразой: «Думай, думай, думай и анализируй, прежде чем делать скоропалительные выводы о людях и событиях». Больше мы к этой теме не возвращались.

                                                                2   
           В начале 1923 года дедушка Август случайно зашёл в интернат для глухонемых детей на Цыганской улице (ныне ул. Кутякова) между ул. Радищева и Горького. Там он встретил жгучую брюнетку с вьющимися волосами и большими, на пол-лица глазами. Это была моя бабушка Агата (Агда) Каспаровна Герстнер. В голодном 1921 году была вывезена в Архангельскую область, возвращаться в родной Мариенталь она не захотела и осталась в Саратове. Молодая немка сразила сердце моего деда. Через несколько месяцев они стали жить вместе. Со своей женой по первому браку и дочерью Валентиной дед поддерживал хорошие отношения до своей смерти.
           В 1924 году у Августа и Агаты родился сын Адольф, а в 1927 – мой отец, Рудольф. В этом же году дедушка стал членом ВКПб. За 10 лет пребывания в парти его дважды исключали и дважды восстанавливали в партии. Бабушка рассказывала, что он вечно лез не в свои дела, добиваясь справедливости. Семья бабушки приняла дедушку, но относилась крайне настороженно. Для них он был, в первую очередь, коммунистом. А в памяти оставались кровавые события Мариентальского восстания 1918 года. Отец вспоминал, что в 1937 году его в очередной раз на лето отправили в Мариенталь. Ему там всегда было интересно, хотя местные ребята посмеивались над его плохим немецким. Однажды бабушка подвела его к груше. «Рудольф, эту грушу посадил твой отец, а эта птица (видимо, горлинка) садится только на это дерево и, послушай, она кричит «Пальшевик, Пальшевик», – говорила она.


    Агда Плеве с сыном Рудольфом (отцом Игоря Плеве)

           В 1931 году Август Плеве был в числе первых студентов созданного в Саратове Автодорожного института. Этот список был в музее Политеха. Не знаю, есть ли он сейчас. Не мог и представить дедушка Август, что через 80 лет его внук станет ректором этого вуза.
           В середине 1930-х годов дедушка работал начальником инструментального цеха завода «Серп и молот». Намечалось серьёзное повышение. Но наступил 1938 год.

                                                                3
           Переломным в судьбе деда и всей семьи стал февраль 1938 года. По доносу дедушку арестовали и предъявили обвинение как врагу народа. Он был сразу помещён в 3-й корпус (сейчас его в народе называют «Третьяком») Саратовской тюрьмы. Между домом (Астраханская, 118) и тюрьмой было всего два квартала. Но семья о деде и его судьбе узнала только в начале 1946 года. Как-то, когда мы с дедом в начале 1970-х годов проходили мимо этого здания, он рассказал, что из третьего корпуса было только два выхода. Если после серьёзной физической и моральной обработки человек ломался и подписывал всякий бред, то выход был через подвал (расстрел). А для тех, кто не ломался – через первый, на этап и в ГУЛАГ.
           Семье было тяжело. Отца исключили из пионеров. Даже на фотографии класса в сентябре 1939 года отец и ещё несколько ребят стоят чуть в стороне – дети врагов народа. Осталось мало тех друзей и знакомых, кто помогал бабушке Агде с детьми выжить, особенно в первый год после ареста деда. А в сентябре 1941 года – депортация, трудармия и шахты Прокопьевска.
           А дедушка Август «путешествовал» по Северу: от Мурманска до Нарьян-Мара. Бросил курить, а свою пайку табака обменивал у уголовников на хлеб. К ним было несколько иное отношение, чем к политическим. Один из начальников лагеря, как вспоминал дед, называл уголовников заблудшими детьми Советской власти, а политических – её врагами. Не хочу описывать эти годы жизни деда, хотя он об этом рассказывал много. К 1945 году дедушка Август потерял все зубы (цинга) и начались проблемы со зрением (затемнение роговицы). После победного мая 1945 года уголовники писали коллективные заявления на амнистию. Под смешки политических дед тоже вписал свою фамилию со своей политической статьёй. И каково было у всех удивление, когда Август Плеве попал под амнистию! Скорее всего, амнистию подписывали списками. Случай или просто повезло? Приехав в Саратов, у соседки Клавдии Васильевны он узнал, где сейчас его семья, и кто на него написал донос. Им оказался её бывший муж, который признался в этом «по пьяни» накануне войны. Он просто помог знакомому НКВДшнику выполнить план. Она его выгнала, а в начале августа 1941-го пришла на него похоронка.
           За восемь лет дед пережил многое, но жажда воли и сила духа позволили Августу Петровичу выжить!


    Август Плеве

                                                                4
           Оказавшись в Сибири, дед поставил себе и семье главную задачу – вернуться на Волгу. Но в обозримом будущем в это пока верилось с трудом. Указом 1948 года немцев определили на вечное поселение в Сибири.
           Выжившим немцам разрешалось вернуться только в места выселения: Урал, Сибирь, Казахстан, где находились их родственники. Согласно Указу Президиума Верховного Совета СССР № 133/12 д. № 111/45 от 26 ноября 1948 года, все выселенные в годы ВОВ были приговорены к ссылке навечно, с наказанием в виде 20-летней каторги за побег с мест обязательного поселения.
           Поэтому после войны и лагерных бараков трудармии дедушка Август с сыновьями построил дом в районе Ясная Поляна, на окраине Прокопьевска. А в 50-е годы ещё два дома – для каждого сына. А жить они с бабушкой стали у младшего, Рудольфа. Обзавелись хозяйством. Но все мысли были только о Саратове. В 1957 году, за год до моего рождения, мечта чуть-чуть, но осуществилась. Его пригласили приехать в Саратов. Обком КПСС собрал немногих оставшихся после сталинских лагерей саратовских коммунистов. Была организована тёплая встреча и интересные мероприятия. В завершении для всех были заготовлены новенькие партийные билеты. Но дедушка в третий раз возвращаться в партию отказался, ссылаясь на возраст и слепоту. Из Саратова он привёз документы, по которым стал получать пенсию 22 рубля, и корешки яблони «Антоновки». В Сибири этот сорт не рос. Но забота и внимание деда сделали свое дело. Антоновка стала стелиться над землей, а в осенние заморозки обогревалась тёплым воздухом и дымом. Яблоки бережно снимались с дерева и ждали своего часа. А на Новый год вся семья ела вкусные, как говорил дед, саратовские яблоки.
           К 50-летию Октября, в 1967 году, деду бесплатно были сделаны зубные протезы. По этому поводу он собрал сыновей с семьями и устроил грандиозное, по тем временам, застолье. Как сейчас помню, первый тост дед поднял за Советскую власть, которая вернула ему через 25 лет зубы. Но его зрение так и осталось в лагерях ГУЛАГа.


    Агда Плеве, жена Августа, с сыновьями

           В 1968 году началась подготовка к переезду на Волгу. В отпуск отца съездили в Саратов. Приценились к жилью и определились с районом. Мне никуда уезжать не хотелось. Здесь в Сибири были мои родные и друзья. Я не мог понять, почему мы должны уезжать. Но говорить с отцом на эту тему не хотел, а точнее боялся. Решил своё беспокойство обсудить с дедушкой. К моему удивлению, он со мной разговаривал, как со взрослым. Много рассказал о красоте Волги, чистоте Саратова, о старом университете. О том, какой вкусный саратовский калач с красным сахарным арбузом. А в конце монолога сказал, что очень хорошо понимает, как тяжело уезжать с родины. «Но мы с бабушкой, как и твои папа с мамой, не хотим умирать в ссылке, а хотим жить на родине. Когда вырастешь, сам решишь, где тебе жить. А пока – в Саратов», – подвёл итог разговора дедушка Август.

                                                                5
           3 мая 1969 года наша семья вернулась в Саратов. Купили маленький домик с двориком в районе Сенного базара. Тогда это был микрорайон частной деревянной застройки рядом с Глебучевым оврагом. И контингент населения тоже был своеобразный. Первый мой выход на улицу закончился разбитым носом и «фонарём» под глазом. Бабушка запричитала, а дед отозвал в сторону и запретил «хлюпать» носом. Я пытался рассказать, как буду по отдельности мстить за разбитый нос. Но он быстро меня прервал. «Не мсти слабым и не заискивай перед сильными. Всегда оставайся собой», – говорил дедушка Август. А мне что делать в этой ситуации? И дед мне посоветовал забыть о сегодняшней неприятности, а завтра прийти к этим ребятам и не вспоминать о конфликте. Предложить какую-нибудь сибирскую игру, о которой не знали в Саратове. И действительно, все проблемы ушли, и я быстро стал своим парнем. Много лет назад, вспоминая эту ситуацию, понял, что таким образом дедушка меня, мальчишку, учил «держать удар».

                                                                     6
           Летом того же 1969 года в наш дворик зашёл пожилой мужчина, несмотря на жару, в красивом костюме и галстуке. Дед с ним как-то запросто поздоровался и отвёл к столику в углу двора. К принесённой бутылке водки дедушка сам принёс закуску, так как бабушка не выходила. Они вели тихую беседу практически без эмоций. Я ушёл гулять, а когда возвращался вечером домой, на трамвайной остановке увидел деда, провожающего нашего гостя. Прибежал домой, чтобы у бабушки узнать об этом загадочном человеке. Отвечая, бабушка перешла на немецкий (так она делала, когда сильно злилась). Если перевести коротко – «сволочь последняя».
           Дедушка вернулся, молча выпил чай и рано пошёл спать. Через несколько дней я всё же расспросил его о госте. «Он был моим другом, – сказал дедушка Август, – и одно его слово могло спасти меня в 1938 году, но он струсил». И на всю жизнь остались в памяти непонятные тогда слова деда, что людьми правит страх. Больше я не видел у нас Дмитрия Дмитриевича Серова (кажется, так звали нашего гостя). В ноябре мы пошли на первую праздничную демонстрацию в Саратове. Дедушка просил внимательно посмотреть на трибуну, где был и наш «летний гость». Но я этого не сделал, не захотел смотреть на того, кто ради места на трибуне предал дружбу.

                                                                7
           Важным источником информации для деда было радио. Он с интересом слушал новости и познавательные передачи. Не оставались без внимания и, как тогда говорили, «вражьи голоса». В конце 60-х годов по ряду западных радиостанций стали читать страницы романа А. Солженицына «Архипелаг ГУЛАГ», запрещённого тогда в СССР. Дедушку это очень заинтересовало, и он попросил меня подключить к нашему приёмнику «Урал 57» магнитофон и записывать все эти передачи. Несколько раз в неделю мне приходилось вставать в 5 утра («глушилки» в это время почти не работали). В суть того, о чём там читалось, я не вникал и не понимал. Дед слушал молча, только что-то бухтел и вздыхал, а я в это время дремал на диване. А через 20 минут шёл спать. Таким образом записали несколько кассет...
           В 10 классе мне случайно попал в руки литературный журнал начала 60-х годов с повестью Алдана-Семенова «Барельеф на скале». Начальник одного из гулаговских лагерей в Сибири решил на скале, что нависла над лагерем, к 7 ноября выбить барельеф Сталина. И как смертями и увечьями удалось это сделать, рассказал автор.
           На меня эта повесть произвела сильное впечатление. Тогда я решил её прочитать и деду. Он внимательно и с интересом послушал. Но сразу вспомнил о записях шестилетней давности и сказал, что у Солженицына это было сильнее. После долгих поисков нашёл чудом сохранившиеся кассеты. Теперь мы их с дедушкой Августом слушали вместе, как говорится «с чувством, с толком, с расстановкой». Он часто давал свои комментарии, переслушивая отдельные фрагменты. Где-то он не соглашался с Александром Исаевичем, а где-то очень хвалил за понимание ситуации. Слушая записи и дедушкины замечания и реплики, я невольно учился видеть главное в любом тексте.
           Прошли десятилетия. И когда я начал читать это произведение в книжном варианте, то на полях многих страниц всплывали слова, эмоции, душевные переживания деда. Только тогда начал понимать, как много чего мне не удалось спросить у дедушки Августа, как много я упустил в те годы...
           В августе 1979 года дедушки не стало. Он прожил сложную жизнь. Но всегда сохранял живой ум, стремление узнавать всё новое, быть полезным родным и близким. Для деда не было такого понятия, как депрессия. Никогда не сожалел и не каялся за совершённые в жизни поступки. И только за час до смерти попросил прощение у бабушки Агды за все свои прегрешения.
           Многие черты его характера передались мне на генетическом уровне. С годами я стал осознавать роль дедушки Августа в формировании меня как внука. Гораздо позже начал понимать, как много почерпнул и воспринял от деда. То, чего я добился в жизни, это благодаря и его усилиям.
           Этими краткими заметками я просто хотел рассказать об этом простом, но удивительном человеке и его роли в моей жизни.

  • Müssen die Mitglieder der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland vom Putins Beauftragten betreut werden?

     

    Ohne die Mitglieder der Landmannschaft Deutschen aus Russland, die sich zur Charta der deutschen Heimatvertriebenen bekennt, gefragt zu haben, ist von den der deutschen Öffentlichkeit wenig bzw. kaum bekannten Personen beschlossen worden, dass die Landmannschaft sich einem Dachverband anschließt.

     

     „Auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Prof. Dr. Bernd Fabritius, sind die Vorsitzenden der Selbstorganisationen der deutschen Minderheiten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie der aus diesen Gebieten stammenden Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland zu einem Spitzentreffen in Berlin zusammengekommen.

     

    Die heute in der Russischen Föderation lebenden Deutschen waren durch die Vorsitzenden des Internationalen Verbands der deutschen Kultur in der Russischen Föderation (IVDK), Olga und Heinrich Martens, vertreten. Für die Deutschen in Kasachstan nahmen der Vorsitzende der Stiftung „Wiedergeburt“ in Kasachstan, Albert Rau, für die Deutschen in Kirgisistan der Vorsitzende des Volksrates der Deutschen in Kirgisistan, Valerij Dill, und für die Deutschen in der Ukraine der Vorsitzende des Rats der Deutschen in der Ukraine, Wolodymyr Lejsle, an diesem ersten gemeinsamen Planungs- und Vernetzungstreffen teil. Die aus diesen Gebieten stammenden und heute in Deutschland lebenden Aussiedler und Spätaussiedler waren durch den Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LMDR), Johann Thießen, vertreten. Ergänzend nahm auch der Vorsitzende des Jugend- und Studentenrings der Deutschen aus Russland, Waldemar Weiz, an den Besprechungen teil. Inhalt der Gespräche waren jeweils die aktuelle Situation der Deutschen in den genannten Gebieten, dort bestehende Herausforderungen sowie Zukunftsziele und Strategieplanungen.

     

    Die Teilnehmer stellten fest, dass sich in den Staaten der ehemaligen GUS zum einen unterschiedliche Rahmenbedingungen und damit unterschiedliche Herausforderungen entwickelt haben, gleichzeitig aber auch vergleichbare und gemeinsame Lösungsansätze für gemeinsame Anliegen möglich und vorteilhaft sind. Vermittlung und Festigung der Kenntnisse der deutschen Muttersprache als verbindendes Element der gemeinsamen kulturellen Identität sowie eine zukunftsorientierte und nachfragefördernde Jugendarbeit waren Themen, die in jeder Region herausragende Bedeutung hatten. Auch hinsichtlich der Betreuung der Mitglieder ergaben sich Ansatzpunkte für eine Verstärkung der Kooperation und einer noch besseren Interessenwahrnehmung.

     

    Einstimmig wurde die Schaffung eines grenzüberschreitenden Zusammenschlusses der nationalen Verbände beschlossen, die unter dem wechselnden Vorsitz eines der Vorsitzenden dieser Verbände die engere Zusammenarbeit und Synergien in unterschiedlichen Bereichen fördern soll. So wurden etwa eine gemeinsame Informations- und Öffentlichkeitsarbeit, eine engere Kooperation zur Verstärkung der Brückenfunktion in allen Bereichen nach dem Modell deutscher Kultur- und Geschäftszentren, abgestimmte Maßnahmen zur Sprachenförderung, eine breitere grenzüberschreitende Jugendarbeit und ähnliche Themen besprochen. In einem nächsten Schritt soll nun die Struktur und Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit konzipiert werden. Alle Teilnehmer waren sich einig, das Format der Zukunftsgespräche auf Spitzenebene künftig regelmäßig weiterführen zu wollen.“

    https://www.aussiedlerbeauftragter.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/AUSB/DE/zukunftsgespraech-dmin-august-2019.html

     

    „Heinrich Martens ist Beauftragter des russischen Präsidenten Wladimir Putin.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Martens), abgerufen am 21.08.2019, um 18:05 Uhr.

     

    Olga und Heinrich Martens rechts in der Mitte

  • Paul Kieß: Offene Kommentare zum Offenen Brief von Karl Kister an Hugo Wormsbecher

     

    Expertengruppe für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen

    Экспертная группа по проблемам российских немцев

     

    Paul Kieß

     

    Offene Kommentare zum Offenen Brief
    von Karl Kister an Hugo Wormsbecher

     

    Der auf Russisch veröffentlichte Beitrag von Paul Kieß ist ein wertvolles Dokument der Epoche, weil es aus der Feder des unmittelbaren Zeitzeugen der Entstehung der Bewegung der Russlanddeutschen für ihre Rehabilitierung stammt. 1991 war er in der Arbeitsgruppe des Organisationskomitees für den 1. Kongress der Deutschen der UdSSR tätig. Paul Kieß wurde zum Vorstandsmitglied des Internationalen Verbandes der Russlanddeutschen gewählt. Alsdann bekleidete er das Amt des Hauptexperten des Staatskomitees der Russischen Föderation für nationale Angelegenheiten, arbeitete als Beamte der Staatsduma (Unterhaus des Parlaments der Russischen Föderation) und des Föderationsrates der Föderationsversammlung von Russland. Er befasste sich mit nationalen Angelegenheiten des Vielvölkerstaates Russland. Paul Kieß war einer der Autoren des föderalen Gesetzentwurfes „Über die Rehabilitierung der Russlanddeutschen“.

     

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  • Testament von Eduard Deibert

    Testament von Eduard Deibert


    Hallo lieber Dr. Walther Friesen und Tatiana,
    Danke für die alle Jahre,
    in der wir ständig in Verbindung waren.
    Aber wie gesagt, alles hat einmal ein Ende!
    Die Gründung Ältestenrat ist eine gute Sache,
    die solltest Du mehr intensivieren! – mein Wunsch!

    Ade
    und leben sie wohl
    und grüßen Sie alle von mir
    Ich werde mich bestimmt auch vom Himmel
    um das Wohl der Russlanddeutschen kümmern.

    Siehe meinen Abschiedsbrief im Anhang

    Eduard Deibert

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    http://www.damals-im-osten.de/index.php/eduard-deibert/g-ed-gallery

    Am 15. Februar 2022
    kehrte Eduard Deibert zu Gott heim

     

     

  • Über Altersarmut bei Russlanddeutschen Rentnern

    Prof. h.c. Dr. Viktor Graf

     

    Über Altersarmut bei Russlanddeutschen Rentnern

     

    Es ist tatsächlich so, dass über Altersarmut bei Russlanddeutschen Rentner bis jetzt kaum einer ein Wort verloren hat! Nur in Foren wird diskutiert, dass es angeblich über die Aussiedler in Deutschland ein Goldregen fließt. Leider sieht die Wirklichkeit im krassen Gegensatz dazu ganz anders aus! Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass darüber und vor allem über die Kürzungen der Fördermittel für die Spätaussiedler in allen Bereichen der Integration im Deutschen Bundestag 1998 debattiert wurde. Gebracht hat diese nichts! Es ist schon Paradox, dass ein Bundesbeauftragter 2013 eine Novellierung des BVFG-Gesetzes durchsetze und der andere ihn dafür lobte, die eigentlich eine Verschlechterung mit sich für Spätaussiedler brachte!? Endlich in diesem Jahr (Koinzidenz mit der Wahl ist nur als großer Zufall zu sehen) gab es kleine Bewegungen in dieser Problematik, obwohl davor angeblich keinen „Spielraum“, um diese schiefe Lage zu ändern, gab?! Natürlich, wenn man eine Rente mit mindestens 10.000 € sicher hat – hat man keine Lust darüber zu diskutieren!

     

    Am 08.11.16 gratulierte Herr Koschyk zum 25. AGDM-Jubiläum und sagte folgendes: „Vor uns liegen arbeitsreiche Tage, wichtige Treffen, Diskussionen, der Empfang bei Kanzlerin Angela Merkel. Das bedeutet, dass die deutsche Regierung Sie schätzt, unterstützt und bereit ist, sie zukünftig zu unterstützen.“ In Bezug auf die deutschen Aussiedler, für die die Bundesregierung in den letzten 25 Jahren stets einige „Novellierung“ der Gesetze vorgenommen hat, klingt für mich als reiner Spott und Hohn. Erst jetzt, nach 21 Jahren, ist im Wahl-Programm der CDU folgendes zu lesen: „Nachteile deutscher Spätaussiedler in der Rentenversicherung, die sich durch Änderungen des Rentenrechts ergeben haben, werden wir beseitigen“, was für mich persönlich nicht die Lösung des Problems darstellt, denn die Nachteile für Spätaussiedlern werden damit nicht beseitigt! Der CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, J. Herrmann sprach aber nur über eine Überprüfung und Anhebung der Renten für Spätaussiedler im Zuge der Angleichung der Renten in Ost- und Westdeutschland bis 2025!? BdV-Präsident sieht die Lage als bedrohlich obwohl sie eher als dramatisch zu bezeichnen ist. Scheinbar sind die Probleme bis jetzt nicht richtig erkannt?!

     

    Eigentlich alles, was ich hier präsentieren möchte, steht im Fremdenrentengesetzt (FRG), diskriminierend ergänzt vom Rentenversicherung Bund (RVB). Bloß das haben wenige gelesen, viele wissen nicht und einige wollen es nicht wissen! Die Renten-Problematik sowie Statusänderung, die jetzt durch eine Novellierung drastisch eingeschränkt sind und eine weitere Verschlechterung für die Spätaussiedler darstellt, habe ich seit meiner Einreise 1996, da es bei der Bearbeitung unseren Anträgen nachweislich zahlreichen groben Verstößen gegen das Grundgesetz gab, mehrere Male angesprochen; bei allen CDU-Beauftragten wie Hrn. Koschyk, Dr. Bergner, Fromme und bei der Regierung sowie „unseren Vertretern“. Leider stehen wir nach wie vor dort, wo wir seit 1993 abgestellt wurden.

     

    Aus Humanitären Überlegungen, sozialer Gerechtigkeit sowie elementaren Menschlichkeit soll die Bundesregierung, meines Erachtens, zu einer Politik stehen, die den Betroffenen ermöglichen und erleichtern ihre Rechte zu bekommen bzw. wiederherzustellen. Dies gilt insbesondere für uns - deutschen Aussiedlern, dem ethisch und historisch mit Deutschland verbundenem Volk, die nach unaufhörlichem Appell der deutschen Regierung endlich es geschafft haben nach ihrer historischen Heimat zurückzukehren. Die Russlanddeutsche, die für das Verbrechen des Nazis bestraft worden waren und daran sehr gelitten haben, die nicht dafür entschädigt und wieder mal wegen der Umsiedlung, alles verloren haben und noch vieles verlieren müssten, die wegen der unterlassenen Beratung und Unterstützung sowie Ungerechtigkeit vor allem die Rentner auf eine erbärmliche Existenz verdammt sind. Ausgerechnet genau deswegen muss man auch die Frage stellen, ob man auch eine Höchstrente für alle einführen soll, wie bei den Aussiedlern vor allem, wenn schon es eine Grundsicherung, sprich Mindestrente genau wie Mindestlohn geben sowie eine Bemessungsgrenze existiert! Ich würde schon jetzt vorschlagen, die Höchstrente sollte nicht das Dreifache der Mindestrente überschreiten und ca. 2.500 Euro betragen! Schließlich handelt es sich hier um eine soziale Leistung des Staates! Dadurch werden sowohl die Rentenausgaben reduziert als auch die Rentenkasse geschont.

     

    Außerdem, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen, ist es an der Zeit über eine unantastbare monatliche Entschädigung für Aussiedler, die wegen Ihrer deutschen Volkszugehörigkeit deportiert und zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden bzw. in den Verbannungsorten ihrer Eltern geboren wurden, ähnlich wie für einige Personenkreise, eine Entschädigung vorzusehen. Die gesetzlichen Grundlagen dafür liefert das Kriegsopferbereinigungsgesetz (1992) und viele Aussiedler sind als solche anerkannt!

     

    Unter anderem auch gerade deswegen ist für uns sehr wichtig über die Abstufung der Renten auf die 60%, die zweifelsohne nicht verfassungskonform ist, zu sprechen bzw. neu zu verhandeln! Dabei möchte ich es in aller Deutlichkeit noch einmal betonen, es handelt sich in Wirklichkeit um eine mehrstufige Absenkung der Rente für Spätaussiedler! Und demzufolge stellt sie eine ungleiche Behandlung (Verstoß gegen Art. 3 und 33 GG!) nicht nur den Bundesdeutschen gegenüber, sondern auch den früher eingereisten Aussiedlern und sogar ihren nicht Deutschen Partnern, die keiner Benachteiligung ausgesetzt worden waren, dar! Außerdem verstößt diese Kürzung gegen Art. 6, Abs. 1 GG, da es gemäß Art. 6 stehen Ehe und Familie unter besonderem Schutz des Staates. Wenn wir in Rente gehen, werden wir praktisch alle zum Sozialfall. Bei den Alteingesessenen beziehen Grundsicherung ca. 2,6 Prozent. Durch diese Abstufung und weiteren Reduzierung der Rente, was eine gesetzlich verordnete Deklassierung, Enteignung und Plünderung unterstützt, werden wir erneut sehr benachteiligt und ausbeutet.

     

    Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 07.07.1992 (BverfGE 87, 1ff, vgl. Entscheidung vom 12.03.1996) fest, dass die Benachteiligung der Familie im sozialen Sicherungssystem nicht länger hinnehmbar sei. Sie ist mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art.3, I) des Grundgesetzes und dem staatlichen Schutzauftrag gegenüber der Familie (Art.6, I) unvereinbar. Darüber hinaus verstößt diese Abstufung gegen Art.14, I GG, denn Rentenanwartschaften unter den Schutzbereich des Art. 14 fallen. Weiterhin verstößt diese Abkürzung gegen Art.2, I in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Vertrauensschutzgarantie) nach Art. 20 III.

     

    Hierzu möchte ich einige gesetzliche Grundlagen etwas verdeutlicht darstellen und zwar:
    a) Art. 1 GG garantiert die Menschenwürde und unterstreicht die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte.
    b) Art. 20 GG beschreibt Staatsprinzipien wie Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat.
    c) Ein Deutscher hat, wann immer er in den Schutzbereich der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gelangt, einen Anspruch auf den vollen Schutz der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland und alle Garantien der Grundrechte des Grundgesetzes. (vgl BVerfG, U, 31.07.73, - 2_BvF_1/73 - Grundlagenvertrag - BVerfGE_36,1)
    d) Das Begehren der Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren mit Blick auf den Meistbegünstigungsgrundsatz ist so auszulegen, dass deren Rechte im größtmöglichen Umfang zur Geltung kommen können (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 06. April 2011 – B 4 AS 3/10 R; Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R; Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R sowie Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R-).

     

    Die Lage damals, wie sie auf meine Frage Herr Fromme CDU uns dargestellt hat:

    1. Die Deutschen waren über die hohen Renten der Aussiedler empört (Willkommenskultur!), vergessen haben viele, dass diese an den enormen Leistungen der z.T. mehrfach vertriebenen Russlanddeutschen lag, die mit 15 zu Zwangsarbeit genötigt wurden, alles verloren haben, jetzt durch die Umsiedlung wieder, die für ihren enormen Leid und Elend nicht entschädigt wurden. Mein Vater z.B. ist mit 15 deportiert worden und seitdem arbeitete ununterbrochen bis zu seinem 69. Geburtstag! Natürlich hat er mehr Arbeitszeiten vorzuweisen! Trotzdem bekam er nur 60%, meine Mutter dagegen 70%, obwohl die beiden zusammen 1995 eingereist sind!? So sieht die reale Gerechtigkeit für Spätaussiedler aus.

    2. Die Rentenkassen sein leer (wir sollen daran schuld sein?!) und

    3. Wir haben nicht in den Topf eingezahlt?! Hierzu hatte ich damals (2006) angemerkt, es gibt keinen Topf, da in Deutschland wie auch in der UdSSR ein Umlagesystem (Generationenvertrag) existiert. Außerdem sind wir nach Deutschland lt. Koschyk (Rede, Juli 2015, Stuttgart) als eine gut strukturierte Völkergruppe gekommen (nicht nur Rentner!), die sich gut integriert hatte und dadurch nicht nur einen wesentlichen Beitrag in die Wirtschaft und Kultur BRD, sondern auch zur Abfederung der demographischer Schieflage liefern! Ich hoffe, alle kennen die von ihm genannten Zahlen. Zitat: „Die nach Deutschland zuziehenden Russlanddeutschen sind in ihrer Altersstruktur deutlich jünger als die alteingesessene Wohnbevölkerung in Deutschland: 77,9 % sind jünger als 45 Jahre, dieser Anteil liegt bei der Gesamtbevölkerung nur bei rund 50 %. Der Anteil der Personen, die 65 Jahre und älter sind, beträgt bei den neu nach Deutschland kommenden Spätaussiedlern lediglich 3,9 Prozent gegenüber rund 21 Prozent bei der alteingesessenen Bevölkerung“. Dabei haben schätzungsweise weniger als die Hälfte eine gekürzte Rente!? Das Verhältnis bei den Rentnern 1:10! Bei den jungen Menschen 1 zu 1,6!

     

    Bei der Rente sind bekanntlich 2 Merkmale zu berücksichtigen! Man muss Kinder haben und in die Kasse einzahlen! Also, die Russlanddeutschen zahlen und werden auch in der Zukunft deutlich mehr in die Rentenversicherung einzahlen als sie daraus entnehmen dürfen! Und wir haben sowohl im Herkunftsland eingezahlt bzw. unsere (viel weniger wie auch hier!) Rentner bezahlt! Dadurch wird aber bei den kinderlosen alteingesessenen Deutschen die Rente nicht gekürzt?! Die Lage hat sich jetzt gründlich geändert, was wiederum nicht zuletzt den Aussiedlern zu verdanken ist, die einen vergleichsweisen effektiv höheren Beitrag leisten und eine geringere Rente akzeptieren müssen, wenngleich auch nicht alle sie bekommen! Diese Kürzung der Rente bei den Spätaussiedlern mit §4 und nicht Anerkennung der Beitragszeiten bei denen mit §7 bzw. §8 stellt bereits eine ungleiche Behandlung den früher gekommenen Aussiedlern gegenüber dar, wo auch sogar bei den Nichtdeutschen Partner die Anrechnung der Beitragszeiten sowie Anerkennung als Vertriebenen stattgefunden hat?!

     

    Laut §15 FRG: „Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich“. Leider gibt es hier gravierende Probleme bzw. diese werden vom Rentenversicherer hausgemacht, die Beitragszeiten erstmals nachzuweisen, obwohl M.E. es gesetzlich geregelt ist und eigentlich kein Problem darstellen soll. In den „Regelungen“ des RVB stehen Sachen, die man nicht versteht und die nicht im FRG zu finden sind! Hier spreche ich auch von meinen eigenen schlechten Erfahrungen: egal, ob die Arbeitsbücher, gesetzlichen Vorschriften, Archivbescheide vorliegen etc., wird die Rente nur als „glaubhaftgemacht“ eingestuft, mit allen daraus resultierenden Folgen. Man wird einfach benachteiligt! Einige Beitragszeiten, die mit Beiträgen zurückgelegt sind, werden einfach nicht anerkannt!? Zeiten vor 17 Jahren, Aspirantur, Selbständigkeit. Hier nimmt sich der RVB bzw. billigen die Gerichte dem RVB ein weites Ermessen bei dem gesetzlich geregelten Verfahren zu, was dieser bis zur Grenze der Willkür ausüben kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen! Um uns zu benachteiligen, werden in einigen Fällen DDR-Gesetze herbeigezogen, in anderen einige andere und sogar einige aus meiner Sicht zweifelhafte Gerichtsurteile.

     

    Überschreiten die Verdienste die Beitragsbemessungsgrenzen, was eigentlich nicht in Herkunftsländer bekannt ist und berücksichtigt wird und dementsprechend einen höheren Beitrag pflichtgemäß einfach abgebucht wurde, werden diese dennoch zunächst auf die Bemessungsgrenzen reduziert und danach kommt genereller Abschlag von 40% und die 5/6-Regellung, von den Absenkungen auf die Höchstgrenzen ganz zu schweigen?!

     

    Weiter. Gemäß §22 FRG werden höchstens 25 Entgeltpunkte berechnet (sogar bei 2 Renten!), bei Ehepartner insgesamt 40 Entgeltpunkte! Wieder eine Absenkung der Rente! Diese Reduzierung (um 40%) und Begrenzung des Höchstwertes gilt nach Abkommen 1975 mit Polen nicht für polnische Aussiedler!? Auch für die DDR-Bürger nicht! Aber es kommt noch schlimmer und zynischer! Stirbt einer der Partner, wird die Rente des Hinterbliebenen wieder auf die früheren 25 Entgeltpunkte festgesetzt! Somit bleibt auch eine Witwenrente aus?! Es wäre nach den Bundesdeutschen Gesetzen, die irgendwie nicht für ausgewählte Deutsche Bürger (Spätaussiedler!) gelten, bei 20 Entgeltpunkten pro Person für eine große Witwenrente logischerweise noch 12 Entgeltpunkte von dem Verstorbenen Partner anzurechnen!

     

    Die Tabellenentgelte, die nach einem Durchschnittverdienst in den eingestuften Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereichen (bei 2 Bereichen werden die Werten des niedrigeren Bereiches maßgebend), ermittelt werden, sind bereits um ein Fünftel für glaubhaft gemachte Zeiten gekürzt worden, die generell erhöhen werden sollten! Durch Multiplikation mit dem Faktor 5/6 wird eine erneute Absenkung vorgenommen, die lt. Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen L 2 R 435/10 unbegründet ist. Bei den DDR-Bürgern werden die Entgeltpunkte dagegen an die Westwerten angepasst und nicht abgesenkt!?

     

    Die Spätaussiedler werden auch bei den Kindererziehungszeiten benachteiligt; hat die Mutter §4, werden diese Zeiten aber wieder nicht „in vollem Umfang bei Berechnung der Rente berücksichtigt“, bei denen mit §7 bzw. §8 werden keine Kindererziehungszeiten anerkannt, obwohl man viel mehr Kinder als die alteingesessenen Deutschen geboren und erzogen hat, die jetzt für anderen Mütter und Väter ihre Beiträge leisten! Eine automatische Übertragung der Zeiten auf den Vater ist nicht vorgesehen!? Die gesetzlichen Regellungen kennt anfangs ein Spätaussiedler nicht (wird auch weder von Sozialarbeiter noch vom RVB beraten??), später aber ist diese Übertragung nicht möglich!? Damit sind die Aussiedler-Mütter bzw. Familien im Verstoß gegen den Art. 6 GG noch einmal sehr stark benachteiligt bzw. bestraft!

     

    Genauso unbegründet, im krassen Widerspruch zum FRG wird die Aspirantur in Anlehnung an BRD- bzw. DDR-Rechte (??) nicht anerkannt, obwohl in der UdSSR diese Zeiten als Beitragszeiten gelten, weil man auch Beiträge entrichtet hat, und diese ist sogar durch das Gutachten des Instituts für Ost-Recht (Fr. Dr. Schmidt) bestätigt worden! Zitat: „Die Aspiranten …“ genießen in Bereich der Sozialversicherung die Rechte der Arbeiter und Angestellten mit Ausnahme des Rechts auf Beihilfen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit …“. Plausibel und eindeutig für diese Zeiten sind die Zeilen des Gutachtens wonach „… die Zeiten der Aspirantur bei vorausgegangener sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung des Aspiranten im Rahmen der Festsetzung der Leistung aus der Sozialversicherung wie die Zeiten einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit berücksichtigt“ wurden! Und weiter: „Rentenleistungen standen dem Aspiranten in diesem Fall in gleicher Weise wie Arbeitern und Angestellten und damit wie bei der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu“ (vergl. FRG) etc. Somit sind die promovierten Akademiker doppelt abgezockt! Außerdem für diese Sonderfälle muss man auch die Kinderlosenabgaben berücksichtigen, die jeder unverheiratete Mann ab 18 in Höhe von 6% seines Einkommens zu leisten (Sozialabgaben) verpflichtet war! Der RVB will auch diese widerrechtlich, aus welchem Grund auch immer, nicht berücksichtigen!

     

    Man wird auch bei einer Wohnortwechslung bzw. Aufenthalt im Ausland benachteiligt! In diesen Fällen wird die Rente entweder gekürzt oder fällt ganz weg?! Sogar eine Frührente für Schwerbehinderte kommt für die Aussiedler mit §§7 und 8 nicht in Frage?!

     

    Nicht in Frage kommt für die Spätaussiedler, die eigentlich Deutsche Bürger sind, auch die Mindest- bzw. Leistungsrente, die sogar für die Kontingentflüchtlinge diskutiert wird?! Für die deutschen Aussiedler, die als Kriegsopfer gemäß Kriegsopferbereinigungsgesetz anerkannt sind, ist keine Entschädigung vorgesehen, obwohl es ein Bundesentschädigungsgesetz (BEG) gibt?!

     

    M.E. wird in dem bekannten Urteil des BVerfG 1 BvL 9/00 - Rn. (1-113) mit zweierlei Maß gemessen, da braucht man sich nicht zu wundern, dass dies Unverständnis, Enttäuschung und in einigen Fällen sogar berechtigterweise Empörung hervorruft. Vieles ist für mich widersprüchlich, denn lt. Urteil sind die Beiträge der Spätaussiedler einem anderen Versicherungsträger und die Beschäftigung einem anderen Wirtschafts- bzw. Sozialsystem zugutegekommen!? Diese Behauptung entspricht nicht den Renten- bzw. Leistungsprinzipien und ist M.E. aus folgenden Gründen nicht überzeugend!

     

    Erstens, wir sind nach §116 GG Deutsche und als solche auch einen berechtigten Anspruch auf die Soziale und andere Leistungen unseres Staates, der uns aufgenommen hat, haben!

     

    Zweitens, wir haben auch keine Sozialleistungen inkl. Renten in Deutschland in der Zeit unseren Aufenthalt in der UdSSR in Anspruch genommen bzw. bezogen!

     

    Drittens, wir haben unsere Beiträge für uns, unseren Rentner sowie unseren Kindern dort geleistet! Und wir haben unsere Kinder (vergleichsweise viel mehr als die Bundesdeutschen haben!) nach Deutschland gebracht, was als einen nicht zu unterschätzen Humankapital zu sehen ist, die keine Soziale Leistungen in Deutschland in Anspruch nehmen könnten, die mit uns - ihren Eltern das deutsches Rentensystem stark unterstützen, jetzt auch die Bundesdeutschen Rentner kräftig mitbezahlen und Beiträge für Kranken- und Sozialkassen leisten! Dabei haben wir viel weniger Rentner (s.o.), die nur zum Teil eine geringere Rente bekommen, die weit unter dem Niveau der Alteingesessenen und somit weit unter der Armutsgrenze liegt!? M.E. stellt diese eine der größten Ungerechtigkeiten dar, dabei wird nur um Altersarmut von Alteingesessenen gesprochen?!

     

    Und zu Guter Letzt wir haben vergleichsweise viel mehr Beitragszahler als Rentner! Und wenn man schon als Aussiedler sonderbehandelt wird, da muss man konsequent bleiben und in aller Deutlichkeit sagen, unsere Renten sind gemäß „Generationenvertrag“ durch unsere Kinder bezahlt und es handelt sich tatsächlich um Altersarmut bei den Alteingesessenen. Wieso sollen wir eine niedrigere Rente akzeptieren? Abgesehen davon, dass solche Regelungen der normalen Vernunft und Naturgesetzen widersprechen sowie eine offensichtliche Diskriminierung beinhalten sind sie auch meines Erachtens ungesetzlich. Außerdem trägt Deutschland eine ethische, nationale sowie staatliche Verantwortung für die im Ausland lebenden Deutschen insbesondere für die Russlanddeutschen und nicht nur wegen den zwei letzten vernichtenden Weltkriegen, wofür wir bzw. unsere Eltern und Großeltern verantwortlich gemacht und als Geiseln gehalten wurden.

     

    Zum Schluss möchte ich nur einige Zitate von Johann Lauer: „Juristische Argumente gegen die Zusatzreduzierungen (30/40%) der Fremdrente. Widerspruch, Klage, Berufung, Revision oder Verfassungsbeschwerde“ ohne Kommentar beifügen:

     

    „Die Aussiedler sind in der Rentenversicherung nicht auf Solidarität oder christliche Nächstenliebe angewiesen, sondern sie leisten selber einen Solidaritätsbeitrag".

     

    „Hätten wir keine Aussiedler in Deutschland, fiele der Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte höher aus“ (Parlaments-Protokolle 13/185, 27.06.97 S.16793 D), so MdB Walter Hirche (FDP). Der CDU-Sozialexperte Volker Kauder MdB warnte im Mannheimer Morgen vom 15.4.1997 diejenigen, die sogar für eine Herausnahme der Aussiedler aus der Rentenversicherung plädieren: „Wenn diese Leute (gemeint sind die Aussiedler) eine eigene Kasse aufmachen würden, läge der Beitrag bei nur zwölf Prozent“. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln behauptet in einem Gutachten, daß die Aussiedler-Integration „eine gravierende, weit ins nächste Jahrhundert reichende Entlastung der Kranken- und insbesondere der Rentenversicherung“ bewirke, … Den Aussiedlern wurde von Seiten aller Repräsentanten des deutschen Staates immer versichert, daß Sie in der Bundesrepublik einen sicheren Zufluchtsort haben, wo sie gleichberechtigte Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten sind. Durch diese Deklassierung werden auch international eingegangene Verpflichtungen verletzt, die noch gar nicht behandelt wurden bzw. falls notwendig, vor dem Europäischen Gerichtshof zur Verhandlung gelangen werden. Die Hoffnung, daß die Parteien wieder ihre Gemeinwohlverpflichtung gerecht werden und die Ungleichbehandlung der Aussiedler speziell in der Rentenversicherung nicht weiter vorantreiben, sondern diese sogar rückgängig machen, haben die Aussiedler aufgegeben. Allein die Justiz kann noch verhindern, daß Aussiedler nicht mit Bärbel Boley feststellen müssen: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“.

     

    Veröffentlicht am 24.09.17 in der Zeitung Heimat-Rodina

  • Über die Ältesten...

     

    Ältestenrat

     

    Der Rat der russlanddeutschen Ältesten (Ältestenrat) INTEGRATIO-Wiedergeburt ist im November 2009 als konsultatives Vertretungsgremiums der Russlanddeutschen ins Leben gerufen worden, welches satzungsgemäß einen kompetenten Bestandteil der Vereinigung von Vertriebenen, Spät- bzw. Aussiedlern und Auslandsdeutschen ‘Ausbildungs- und Forschungszentrum ETHNOS e.V.ʼ (§ 2.2) darstellt. Das Bestehen des Ältestenrates ist durch das Protokoll des Bundesintegrationsrates (Berlin) vom 07.04.2010 anerkannt worden.

     

    Die Gründungsmitglieder des Ältestenrates sind:

     

    - Karl Betz (Königswinter/NRW), Günther Hummel (Bad Krozinger/ BW), Nikolaus Rode (Kaarst/NRW) – Künstler

    - Eduard Deibert (Iserlohn/NRW) – Künstler und Menschenrechtler

    - Dr. Viktor Frasch (Gelsenkirchen/NRW), Dr. (Inst. f. Orient.) Walther Friesen (Dortmund/NRW), Viktor Horn (Goslar/NS), Dipl.-Ing. Alexander Kreik (Berlin) – Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.

     

    Im Laufe der Zeit sind zum Ältestenrat weitere Personen erkoren worden: Friedrich Eckhardt (Bohmte/NS) – Filmemacher, Robert Denhof (Berlin) – Komponist, Helmut Frelke (Berlin) – Künstler, Dr. Viktor Graf (Berlin) und Dr. Viktor Kießling (Bochum/ NRW) – Wissenschaftler.

     

    Die Koordination der Aktivitäten des Ältestenrates obliegt den Herren Dr. (Inst. f. Orient.) Walther Friesen (Dortmund/NRW) und Dipl.-Ing. Alexander Kreik (Berlin).

     

    In Einklang mit seinem Namen ‘Integratioʼ, was lateinisch so viel wie ‘Erneuerung, Wiederherstellung, Wiedergeburtʼ bedeutet, hat sich der Ältestenrat die Mobilisierung und Erneuerung des kreativen Potentials zur sozialen und politischen Rehabilitation der Russlanddeutschen, die jahrzehntelang der Staatsunterdrückungspolitik ausgesetzt gewesen sind, zum Ziel gesetzt.

     

    Vorhaben des Ältestenrates:

     

    - Aufbewahrung und Weitergabe des russlanddeutschen Kultur- bzw. Gedankengutes an Nachwuchsgenerationen durch unmittelbare und nachhaltige Kontakte zur Jugendorganisation der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland;

     

    - Unterstützung der russlanddeutschen Schriftsteller, Künstler und Komponisten; so ist 2014 in Zusammenarbeit mit dem Verein Lyra e. V., Berlin eine Ausstellung des Künstlers Helmut Frelcke zum Thema ‘Auszug‘ – über die dramatischen Schicksalsperipetien der Russlanddeutschen veranstaltet worden;

     

    - 2010 initiierte der Ältestenrat die Schaffung einer Hymne der Russlanddeutschen; zurzeit liegen drei Varianten vor: die von Anatoli Wedel, von Robert Denhof und von Konstantin Ehrlich;

     

    - Gleichstellung vor Gesetzen bzw. Gleichbehandlung vor Gerichten – dem Grund-gesetz und der Menschenrechtskonvention entsprechend – sowie Nichtzulassung der Diskriminierung in allen Lebensbereichen (Rechtschutz im Alter);

     

    - Abschaffung des widerrechtlichen, menschenverachtenden bzw. -unwürdigen „Russlanddeutschen Rentengesetzes“;

     

    - Organisation einer Tournee des russischen Theaters aus der sibirischen Stadt Tara mit dem Theaterstück ‘Vaters Fußtapfen‘ nach der Novelle von Hugo Wormsbecher ‘Unser Hof‘ über das Schicksal der minderjährigen russlanddeutschen Vertriebenen;

     

    - Bewerkstelligung einer mobilen Fotoausstellung von Friedrich Eckhardt zur Geschichte der Wolgadeutschen «Немецкое Поволжье. Неоконченная фотолетопись»;

     

    - Inszenierung des biografischen Romans von Ursula Dorn ‘Ich war ein Wolfskind aus Königsbergʻ über Schicksale von minderjährigen deutschen Kriegsflüchtlingen;

     

    - Herausgabe der mehrbändigen Enzyklopädie „Deutsche Autoren Russlands“ von Edmund Mater;

     

    - Aufbau des Online Knigge des interkulturellen Verhaltens in Form von praxis-orientierten Gleichnissen; in ihren Verbannungsorten lebten die Russlanddeutschen unter den Völkern verschiedener Nationalitäten, öfters muslimischen Glaubens.

     

    Episoden der russlanddeutschen Geschichte

     

    Auszüge aus dem Beitrag von Dr. Walther Friesen ‘Die Deutschen – ein Stammvolk Osteuropas‘ (ISBN 978-3-00-051613-9):

    „In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schien es für viele ehemalige ostbaltische Mitglieder und Untertanen des Deutschen Ordens nur zwei Möglichkeiten zu geben: entweder sich irgendwie der drastisch geänderten geistlichen Umgebung anzupassen oder auszuwandern. Das Damoklesschwert der katholischen Rache blieb über den Köpfen der Lutheraner unter der polnischen Hoheit hängen, die lutherischen Kirchenrituale durften in den schwedischen bzw. dänischen Besatzungszonen Livlands nur in den nationalen Sprachen der Besatzungsmächte ausgeübt werden.... Der lutherische Glaube war im Zarentum Rus geduldet und in vielen Aspekten konnten die Protestanten und die christlichen Andersgläubigen, wie z. B. die Anhänger der Lehre von Andreas Osiander oder Antitrinitarier, sich wesentlich ungehinderter in Ost- als in Westeuropa oder im Ostbaltikum fühlen. Der Militärdienst im Zarentum bot ihnen auch eine lukrative Perspektive. Den Offizieren und einfachen Verhauliniekriegern wurde guter Sold vom Zarenschatz entrichtet. Für zuverlässige Dienste wurden ihnen Bodenanteile mit Leibeigenen in der fruchtbaren Schwarzerde-Zone Osteuropas zugeteilt, die von dem Osmanischen Reiche erobert worden war. Eine Gruppe von Deutschen aus Livland ließ sich in der Moskauer Vorstadt an den Ufern der Jausa, dem linken Nebenfluss der Moskwa, nieder. 1560 wurde dort die Lutherische Gemeinde gegründet, der der Sohn des friesischen Theologen Brictius thon Norde (* um 1490; † 1557) vorstand. 1601 wurde auf Anordnung des Zaren Boris Fjodorowitsch Godunow (* 1552; † 1605) die lutherische Steinkirche in Moskau gebaut.“ „Am 10. September 1721, unterzeichnete der russische Diplomat Johann Friedrich Ostermann im Namen des Zaren Peter I. den Frieden von Nystad, der den 20-jährigen Nordischen Krieg (1700–1721) beendete, und Livland, vertreten durch die Livländische Ritterschaft des Deutschen Ordens, vereinigte sich mit dem Zarentum Rus. Das war die Gründungsstunde des neuen Staatwesens Eurasiens – des Imperiums der Rossen. 1721 waren mehr als 100.000 Deutsche Livlands zu Imperiumsuntertanen geworden.“

     

    Auszüge aus dem Beitrag von Dipl.-Hist. Alex Dreger ‘Die Auswanderung der Deutschen nach Russland im Spiegel der deutschsprachigen Presse im Jahre 1763 ‘ (ISBN 978-3-00-051613-9):

    „Deutsch etablierte sich damals in Russland als die Sprache der Wissenschaft. Nicht zuletzt war diese Tatsache dem Umstand zu verdanken, dass die im Jahre 1724 gegründete russische Akademie der Wissenschaften und Kunst sehr stark durch Wissenschaftler deutscher Abstammung geprägt wurde. Erster Präsident der Akademie wurde der in Moskau geborene Leibarzt Peters des Großen L. L. Blumentrost.... Die erste akademische Zeitung erschien im Jahre 1727. Weil sie sowohl auf russische als auch auf internationale Leserkreise ausgerichtet war und dabei auch die allgemeinen Nachrichten beinhalten sollte, rückten die Herausgeber vom üblichen Latein ab. Somit wurde Deutsch als Sprache der amtlichen Zeitung des Russischen Reiches auserwählt.“

    „Noch als Großfürstin pflegte Katharina II. das Image der klugen und gebildeten Frau. Aber mit der Thronbesteigung nahm Katharinas Selbstdarstellung ganz andere Maßstäbe an. Sie wollte sich als eifrigste Anhängerin der aufgeklärten Monarchie präsentieren, was ihr mit der Unterstützung der französischen Enzyklopädisten für die erste Zeit auch recht gut gelang... So entstand das Bild einer tatkräftigen Herrscherin, die sich nahezu pausenlos um das Wohl ihrer Untertanen kümmerte. Tatsächlich waren einige Projekte von vornherein reine Augenwischerei. Viele andere Vorhaben erwiesen sich als Flop, weil die hochgesteckten Ziele realitätsfern waren. Ein solches Unternehmen war ohne Zweifel die berühmte Einladung der Ausländer nach Russland. Die Notwendigkeit dieses Schrittes für das damals wie heute flächenmäßig größte Land der Welt liegt auf der Hand. Für den Moskauer Staat war es übrigens kein Novum, sondern eine lange Tradition, die den unaufhaltsamen Aufstieg eines der vielen unbedeutenden Fürstentümer der nordöstlichen Rus ermöglicht hatte. Der entsprechende Ukas der Imperatorin ist bemerkenswert, vor allem im Zusammenhang mit dem weitverbreiteten Mythos, wonach die Geschichte der Deutschen in Russland erst ab diesem Zeitpunkt anfing. Betrachtet man die Tatsache, dass einige deutsche Adelsgeschlechter wie das Geschlecht derer von Mengden im Jahre 1762 auf eine jahrhundertelange Familiengeschichte im Dienst der russischen Monarchen zurückblicken konnten, braucht man diese These nicht weiter ernsthaft zu besprechen.“